W58 – Geheimcode für außergewöhnliche Wohn- und Lebensformen in OF
Alternative, zukunftsfähige Wohnformen – das Mehrgenerationenhaus im Offenbacher Musikantenviertel ist eine Spielart davon, und eine erfolgreiche dazu. Seit mehr als fünf Jahren leben Menschen jeden Alters, mit unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichem kulturellem Hintergrund dort zusammen und bringen sich mit ihren Fähigkeiten und Erfahrungen in Alltag und Freizeit ein. Architektonisch ist das Haus mit seinen vielen Grünflächen, Laubengängen und den lichtdurchfluteten Blickachsen ein Schmuckstück mit Referenzen an die Ernst-May-Bauten der 30er-Jahre. Was will man mehr, als dort wohnen und alt werden?
Als Erstes fällt das Grün an den Fassadenwänden auf. Freundlich und warm, ist das W58 (= Weikertsblochstraße 58) schon von weitem zu erkennen. Dann zieht aber erstmal der öffentliche Bücherschrank am Gehweg zu Recht die Aufmerksamkeit auf sich: Er soll wie viele andere Aktionen im und am Haus zum Mitmachen, Besuchen und Austauschen einladen. 45 Menschen wohnen aktuell im W58, im Alter von 1 bis 92. Die Altersvielfalt spiegelt sich auch auf den Balkonen, Arkadengängen und in der Architektur: barrierefreie Zu- und Eingänge, Hello-Kitty-Spielhaus, Großschachfeld im Freien, ein Spielplatz und jede Menge Fahrräder im Unterstand.
Seit 2007 können hier Menschen aus allen sozialen Schichten, mit unterschiedlichen Einkommen, mit und ohne Behinderung, jung und alt, Familien, Singles oder Paare, unter einem Dach wohnen. Bauherr und Vermieter ist die Gemeinnützige Bausgesellschaft Offenbach (GBO), von der Stadt wurde das Projekt unterstützt. Die Bewohner der insgesamt 28 Wohnungen verfolgen dabei ihr Konzept des „solidarisch-gemeinschaftlichen Wohnens über Generationen hinweg“. Großstädtische Anonymität bleibt in dieser Wohn- und Lebensform auf der Strecke: Die Bewohner kennen sich, grüßen sich im Hof oder in den offenen Arkadengängen und unterstützen sich im Alltag. Gemeinsam wird der Garten gepflegt, wird gepflanzt und gestaltet. Wenn ein Bewohner Hilfe braucht, weiß er, wo er sie findet. Gemeinschaftliche Projekte sind freiwillig. Jeder bringt sich mit seinen eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen in die Hausgemeinschaft ein.
Ganz besondere, zentrale Begegnungsorte sind in der Planung und Architektur mit eingeflossen: ein Quartierssaal für Ausstellungen, Lesungen, Vorträge, Kaminabende oder einfach zum „Anmieten“ für die Bewohner, wenn eine größere Feier ansteht, dann die große Dachterrasse, die von allen gemeinsam genutzt wird, oder der bepflanzte Innenhof mit Schachbrett, Holzbänken und Spielplatz. Und natürlich die Laubengänge, die neben dem rein Funktionalen einfach nur schön und kommunikativ sind. Dann gibt es noch Extra-Bonusmaterial wie eine „Gästewohnung“, die Platz bietet, wenn die eigene Wohnung bei Besuch zu klein wird. Überhaupt: Besuch und Austausch werden großgeschrieben, nicht nur im Haus, sondern in Interaktion mit dem gesamten Viertel: Der Bücherschrank ist tagsüber immer geöffnet, Ausstellungen, Feste und das Sommertheater im Hof und Garten gehören längst fest zum Quartiers- und Stadtleben dazu. Wohnen und Leben sind im W58 eng miteinander verwoben: La Famiglia, gute Nachbarschaft, bildet hier die Basis für ein ausgewogenes Verhältnis von „Nähe und Distanz“.
Auf die Infrastruktur des Wohnviertels wurde bei der Planung des Projekts besonders geachtet. „Uns war es wichtig, dass wir hier alles gut erreichbar vorfinden, was man zum Leben so braucht: Schulen, Kindergärten, gute Busanbindungen, Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte und Bäcker“, erklären Heidi Evers und Jürgen Platt, die sich seit Beginn im extra für das Mehrgenerationenhaus gegründeten VereinLebenszeiten e.V. stark engagieren. Im Offenbacher Musikantenviertel hat der Verein den optimalen Ort für sein besonderes Wohnprojekt gefunden: ein altes, gewachsenes Quartier mit sehr viel Grün, toller Infrastruktur und – nicht zu vergessen beim Spazierengehen – einer der schönsten Permanent-Freiluftausstellungen Offenbachs: den wunderbaren Wandbildern, sogenannten "Schnittputzreliefs“, des Offenbacher Malers Adolf Bode, die man an den Fassaden der über 40 Jahre alten MAN-Siedlung findet.